Familiärer Brustkrebs: Wie neue Brustkrebsgene zu bewerten sind (2024)

Familiärer Brustkrebs: Wie neue Brustkrebsgene zu bewerten sind (1)Familiärer Brustkrebs: Wie neue Brustkrebsgene zu bewerten sind (2)

Eine aktuelle Analyse hilft, die Liste der möglichen Risikogene für familiär bedingten Brustkrebs zu vervollständigen. Sie eignet sich jedoch nicht für eine klinische Interpretation und Beratung der betroffenen Frauen.

Familiärer Brustkrebs: Wie neue Brustkrebsgene zu bewerten sind (3)

Die Multigenanalyse bestimmt die Aktivität (Expression) nahezu aller menschlichen Gene in einem einzigen Untersuchungsgang. Eine Hauptschwierigkeit bei der Interpretation der immensen Datenmengen ist die Entscheidung, ob es sich bei einer abweichenden DNASequenz um eine harmlose Normvariante oder um eine pathogene Mutation handelt. Foto: Zentrum Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, Uniklinik Köln

BRCA1 und BRCA2 sind die bekanntesten Hochrisikogene für den erblichen Brust- und Eierstockkrebs. Durch die Etablierung von neuen Sequenzierverfahren („next generation sequencing“, NGS) werden im Rahmen einer „Multigenanalyse“ oder „Paneldiagnostik“ ständig neue Genmutationen entdeckt. Dieser Befund allein bedeutet allerdings nicht, dass damit zwingend das Schicksal einer Krebserkrankung verbunden ist. Um das pathognomonische Potenzial einer Genmutation festzustellen, bedarf es umfangreicher Assoziationsstudien. Hierfür müssen die Daten von mindestens Tausend, besser noch Zehntausend Patientinnen „durchforstet“ werden.

Ein Team um Prof. Fergus Couch von der Mayo Clinic in Rochester hat eine solche „Sysiphusarbeit“ geleistet und die Genbefunde von rund 42000 an Brustkrebs erkrankten Frauen ausgewertet. Mithilfe der Daten, die von der amerikanischen Firma Ambry Genetics erhoben wurden, konnte für 5 weitere Risikogene (ATM, BARD1, CHEK2, PALB2 und RAD51D) ein moderates bis hohes Erkrankungsrisiko bestätigt werden. Für andere Gene wurde eine Risikoerhöhung ausgeschlossen (1). Welche Bedeutung hat diese Studie für den klinischen Alltag und die Beratung von Frauen?

Mutationen treten selten auf

„Sämtliche der von der Couch-Gruppe analysierten Gene waren in Voruntersuchungen bereits als mögliche Risikogene für Brustkrebs identifiziert worden“, kommentiert Prof. Dr. med. Rita Schmutzler, Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, Uniklinik Köln, die neuen Befunde. „Allerdings treten Mutationen in diesen Genen so selten auf, dass bisher keine soliden Daten zu deren genauer Bedeutung vorlagen.“ Mit den neuen Techniken zur genomweiten Hochdurchsatzanalyse ist es in den letzten Jahren allerdings möglich geworden, solche selten betroffenen Gene systematisch in großen Patientengruppen zu untersuchen.

Das Deutsche Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs hatte 2016 bereits mit seinen Arbeiten untermauert, dass weitere Risikogene in Betracht gezogen werden müssen, da von rund 15000 an Brustkrebs erkrankten Frauen mit einer familiären Belastung nur in rund 20% eine genetische Veränderung in den Genen BRCA1 oder BRCA2 nachweisbar war (2).

Doch was bedeuten die genetischen Veränderungen letztlich für das individuelle Erkrankungsrisiko? „Es ist nicht ganz leicht zu beantworten, was genau moderates bis hohes Risiko heißt, da es hier keine klaren Grenzen gibt und die Risiken fließend sind“, so Schmutzler. „Wir haben derzeit eigens ein Forschungsprojekt dazu, um die medizinischen, ethischen und rechtlichen Kriterien für Cut-offs inklusive des Angebots risikoadaptierter Maßnahmen zu identifizieren. Das Team um Couch hat die Odds Ratios von 2–4 als ‚moderates‘ und solche darüber als ‚Hochrisiko‘ bezeichnet. Dies entspricht auch unseren derzeitigen Grenzziehungen.“ Moderat bedeutete ein mindestens 2-fach erhöhtes Brustkrebsrisiko, also lebenslang circa 20%, und hoch ein mindestens 4-fach erhöhtes Risiko, also lebenslang mindestens 40%.

Nur relative Risiken berechnet

Doch für Schmutzler bleiben wichtige Fragen offen. „Es konnten in der Veröffentlichung nur relative, aber keine absoluten Risiken berechnet werden. Diese eignen sich jedoch nicht für eine klinische Interpretation und Beratung der betroffenen Frauen – insbesondere wenn es über so wichtige Fragen wie eine prophylaktische Mastektomie zu entscheiden gilt.“ Die erhobenen relativen Risiken seien auch deshalb „mit Vorbehalt“ zu behandeln, da sie aufgrund des Studiendesigns, das verschiedene Verzerrungsmöglichkeiten erlaubt, noch nicht als abschließend zu bewerten seien.

Ferner sei das klinische Erscheinungsbild unbekannt, denn unterschiedliche Gene könnten sehr unterschiedliche Subtypen von Brustkrebs verursachen. „So ist es wichtig zu wissen, ob die spezifischen Subtypen eine gute oder schlechte Prognose haben und ob sie eine gute oder schlechte Chance haben, durch Früherkennung entdeckt zu werden“, meint Schmutzler. Zudem gebe es bereits Hinweise darauf, dass diese neuen Risikogene miteinander interagieren, sodass das individuelle Risiko letztendlich durch eine Kombination von Risikogenen bestimmt werde.

„All diese noch fehlenden Daten sind wichtig für die Entscheidungsfindung über mögliche präventive und therapeutische Maßnahmen. Hierzu laufen derzeit weitere Untersuchungen in großen wissenschaftlichen Konsortien, die sich dazu weltweit zusammengeschlossen haben. Das Deutsche Konsortium nimmt an diesen Untersuchungen teil und validiert zum Beispiel derzeit über 200 weitere potenzielle Risikogene. Die Arbeit der Couch-Gruppe belegt, dass dies der richtige Weg ist und dass in absehbarer Zeit die Ursachen für rund 30% der Brustkrebserkrankungen bekannt sein werden.“

Gleiches gelte auch für andere häufige Tumorentitäten wie Kolon- und Prostatakarzinom, die zusammen mit Brustkrebs rund 40% aller Krebserkrankungen ausmachen. „Dies eröffnet ganz neue Chancen für eine zielgerichtete Tumorprävention und wird das Gesundheitssystem revolutionieren“, meint Schmutzler.

Nach Ansicht von Prof. Dr. Peter Lichter, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, beeindruckt die aktuelle Studie durch ihren großen Umfang: „Es wurden 21 Gene, die alle bereits mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko in Zusammenhang gebracht worden waren, auf Mutationen hin untersucht. Dabei wurde für ATM, BARD1, CHEK2, PALB2 und RAD51D nun auch ein erhöhtes Risiko beschrieben – was weder neu war, noch für eine genaue quantitative Aussage zur Risikoerhöhung ausreichte, da nur eine ethnische Gruppe von Patientinnen mit einer nichtadäquaten Kontrollgruppe (Gemisch aus vielen ethnischen Gruppen) verglichen wurde.“

Trotz dieser Einschränkung sei der 2. Befund – die nicht gefundenen Risikoassoziationen mit 6 weiteren Risikokandidaten-Genen – angesichts der Größe der Kohorte sehr interessant. „Im Hinblick auf die in anderen Studien bereits gut beschriebenen Risikozahlen überrascht insbesondere das hier nichtgefundene Risiko für das Gen NBN“, so Lichter.

Kontrollierte Studien nötig

Diese Erkenntnisse seien für die Bewertung von Brustkrebsrisikogenen hoch relevant und leisteten einen wichtigen Beitrag in der Diskussion der Risikoabschätzung einiger mutierter Gene, die nach gegenwärtigem Kenntnisstand zu einem erblich erhöhten Brustkrebsbeitragen können. „Solche Gen-Panel-Tests werden auch in Deutschland umfänglich durchgeführt und sollten nach den Empfehlungen des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs zumindest die Gene BRCA1, BRCA2, ATM, CDH1, CHEK2, NBN, PALB2, RAD51C, RAD51D und TP53 beinhalten“, betont Lichter.

Prinzipiell seien solche Daten für die Entwicklung von Tests für Patientinnen mit erblich erhöhtem Brustkrebsrisiko relevant. „Allerdings zeigt der Widerspruch zu bereits gut dokumentierten Risikogenen wie NBN, dass sehr schnell gut kontrollierte Studien notwendig sind, um die hier vorgelegten Daten richtig einordnen zu können“, fordert Lichter.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Crux der Interpretation

Eine Hauptschwierigkeit bei der Interpretation der immensen Datenmengen, die bei Multigenpanelanalysen entstehen, ist die Entscheidung, ob es sich bei einer abweichenden DNA-Sequenz um eine harmlose Normvariante oder um eine pathogene Mutation handelt.

Die altersabhängigen Erkrankungsrisiken müssen in qualitativ hochwertigen prospektiven Kohortenstudien ermittelt werden.

Zudem muss eine Multigenanalyse in ein Dokumentations- und Evaluationskonzept eingebettet sein, um einen verantwortlichen und evidenzbasierten Umgang mit genetischer Risikoprädiktion zu gewährleisten.

Dies impliziert auch die Fähigkeit zur kritischen Bewertung kommerzieller Gentests, die die Gefahr bergen, sich als neue Form von Blockbustern im Diagnosebereich ohne erkennbaren klinischen Nutzen oder sogar zum Schaden der Betroffenen zu etablieren.

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