Jeder fragt, wo die Tennisspielerin Peng Shuai ist. Dabei gerät das Ziel ihrer Anschuldigungen aus dem Fokus: Zhang Gaoli, bis 2018 einer der mächtigsten Männer Chinas.
Katrin Büchenbacher
«Vor drei Jahren, Vizeministerpräsident Zhang Gaoli, wurdest du pensioniert. Du hast mich gefragt, ob wir zusammen Tennis spielen. Danach haben du und deine Frau Kang Jie mich zu dir nach Hause gebracht. Genau wie vor zehn Jahren wolltest du wieder Sex von mir», schrieb der chinesische Tennisstar Peng Shuai Anfang November in einem langen, persönlichen Beitrag auf dem sozialen Netzwerk Weibo. Der Beitrag wurde nach wenigen Minuten gelöscht, und Peng Shuai verschwand aus der Öffentlichkeit.
Peng Shuais Fans in China wissen nichts über den Fall
In China wird seither jede Diskussion über den Skandal unterbunden. Nur die wenigsten Chinesinnen und Chinesen wissen, dass ihr grosser Tennisstar Peng Shuai vermisst wird und dass sie laut eigener Aussage eine jahrelange missbräuchliche Beziehung mit einem der mächtigsten Politiker Chinas geführt hatte, der doppelt so alt ist wie sie. Auf der Weltbühne hingegen hat sich der Fall zu einer sportpolitischen Krise für die Kommunistische Partei entwickelt, nur zehn Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele.
Chinas Staatsmedien sahen sich gezwungen, Bilder und Videos von Peng Shuai auf Twitter zu zeigen, wo der Hashtag #WhereIsPengShuai tagelang dominierte. Doch diese inszenierten Lebenszeichen von ihr vermochten nicht zu überzeugen. Auch kein Telefonat mit dem Präsidenten des Olympischen Komitees, Thomas Bach. Peng wirkte wie eine Figur in einem Kasperletheater. «Für chinesische Krisenmanager ist eine solche Kontrolle Routine. Aber für die freie Welt ist diese Praxis noch beängstigender als erzwungene Geständnisse», schrieb der chinesische Verleger im Exil Ho Pin auf Twitter.
Zhang Gaoli: rotes Kader mit hölzernem Gesichtsausdruck
Wo ist eigentlich Zhang Gaoli? China schweigt über die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn. Selbst gegenüber internationalem Publikum werden sie mit keinem Wort erwähnt. Der Chefredaktor der «Global Times» – die nationalistische Staatszeitung ist bekannt für ihre aggressive Linie – sprach auf Twitter von «der Sache, worüber die Leute redeten».
As a person who is familiar with Chinese system, I don’t believe Peng Shuai has received retaliation and repression speculated by foreign media for the thing people talked about.
— Hu Xijin 胡锡进 (@HuXijin_GT) November 18, 2021
Zhang gehört zum sogenannten «roten Kader» in China und galt als Protégé von Jiang Zemin, der bis 2003 Präsident Chinas war. Der gelernte Ökonom und Statistiker hat eine beachtliche politische Karriere hingelegt. Der China-Experte Robert Lawrence Kuhn kennt ihn persönlich. In seinem Buch «How China’s Leaders Think» schreibt Kuhn, dass Zhang von seinen lokalen Mitarbeitern erwartet habe, sieben Tage die Woche zu arbeiten. Er habe für einen Arbeitsstil der Taten statt der Worte geworben.
Als Parteisekretär von Shenzhen und Shandong trieb er die wirtschaftliche Entwicklung dort so gut voran, dass er 2007 nach Tianjin gerufen wurde, um die Küstenstadt nahe bei Peking zu einer internationalen Wirtschaftsmetropole zu entwickeln. Dort begann er mutmasslich seine Affäre mit Peng Shuai. 2012 wurde er in den Ständigen Ausschuss des Politbüros in Peking berufen, den inneren Machtzirkel der Partei.
2013 wurde er Vizeministerpräsident unter Xi Jinping. In dieser Funktion traf er auch den damaligen amerikanischen Aussenminister John Kerry und den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er sei bekannt gewesen für seine hölzerne Mimik aufgrund einer Gesichtsverletzung, die er aus einem Autounfall vor vielen Jahren davongetragen hatte, zitiert das «Wall Street Journal» eine anonyme Quelle. Bis zu seiner Amtsübergabe 2018 war Zhang zudem für die Organisation der Olympischen Winterspiele 2022 verantwortlich gewesen.
Chinas Propaganda stellt den Fall als Ost-West-Konflikt dar
Dass mächtige Männer Affären haben und ihre Macht auch für sexuelle Vorteile ausnutzen können, ist auf der ganzen Welt so. Im Zuge von #MeToo kamen immer mehr solcher Vorgänge ans Licht, auch in China. So wurde dieses Jahr der Pop-Star Kris Wu verhaftet wegen mutmasslichen sexuellen Missbrauchs. Die Vorwürfe einer Praktikantin gegen einen Moderator des Staatsfernsehens CCTV wurden hingegen im September vor Gericht fallengelassen. Gegen einen so ranghohen Politiker wie Zhang Gaoli hat China noch nie wegen Missbrauchsvorwürfen ermittelt.
Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping hat zwar Tabus gebrochen, indem er Ermittlungen gegen die hohen Sicherheitschefs Zhou Yongkang und jüngst Fu Zhenghua genehmigte, beide Male wegen Korruption. Zhou wurde auch beschuldigt, eine Geliebte gehabt zu haben, aber unter seinen Vergehen wurde dies nicht aufgelistet. Sogenannte «ernai» oder «xiaosan», Zweitfrauen oder Geliebte, gehören unter Chinas Eliten zur Normalität. Es ist unklar, ob eine Ermittlung gegen Zhang überhaupt ein Ziel von Peng Shuais Post gewesen war – und die Öffentlichkeit nicht vielmehr Peng verurteilen würde für ihre Affäre. Diese Debatte zu führen, ist für die Kommunistische Partei wohl zu unsicher im Ausgang und zu gefährlich.
Stattdessen greift die Propagandaabteilung auf ein beliebtes Instrument der Krisenbewältigung zurück: Die Krise wird als ein Angriff von «ausländischen Kräften» dargestellt. Das Aussenministerium äusserte sich Mitte Woche erstmals zu Peng Shuai und sagte, der Fall werde aus bösen Absichten aufgebauscht. Um diese These auch im Inland zu stützen, wurde auf Weibo ein Beitrag der französischen Botschaft in Peking zu Peng Shuai stehengelassen. Die Kommentare, die darunter zugelassen werden, sind selektiv. «Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Dummkopf», ist der beliebteste.
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